Über die Story

Januar in Paris – Maigret hatte einen ereignislosen Tag hinter sich gebracht, einen Samstag. Im Glaskäfig wartete nur noch die Verrückte, aber die war immer da, um die hatte er sich nicht zu kümmern. Also machte er sich auf den Heimweg.

Auf der Pont-au-Change hatte er plötzlich das Gefühl, er würde verfolgt werden, als er sich umdrehte, verschwand ein Mann, aber in der Masse von Menschen, die durch das neblige Paris »spazierten«, konnte das genauso gut Zufall gewesen sein. Denn: Wer sollte ihn denn verfolgen?

Zu Hause angekommen…

Wie gewöhnlich wurde die Tür geöffnet, noch bevor er den Klingelknopf berührt hatte. Madame Maigret stand im Gegenlicht und legte geheimnisvoll einen Finger auf die Lippen.
Er sah sie fragend an und versuchte, an ihr vorbeizuschauen.
»Es ist jemand da«, flüsterte sie.
»Wer?«
»Ich weiß nicht. Er ist merkwürdig…«

Wer jetzt auf den Samstagsklienten getippt hat, hat richtig geraten und hat sich für die Maigret-Rate-Endrunde qualifiziert.

Maigret kannte den Mann: seit mehreren Wochen saß er jeden Samstag im Glaskäfig und wartete. Nicht immer lag es am Kommissar, dass der Mann nicht vorsprach, häufig verschwand er, bevor er gerufen worden konnte. Anscheinend war er immer wieder wankelmütig geworden und hatte den Rückzug vorgezogen. Nun schien er erleichtert, dass er den Weg zu Maigret gefunden hat.

Der Mann war etwa fünfunddreißig Jahre alt und das hervorstechenste Merkmal war seine Hasenscharte. Ihm war anzusehen, dass sie seinen Charakter prägte: er war zurückhaltend und macht auf seine Mitmenschen einen geduckten Eindruck. Monsieur Planchon, sein Name, ist Malermeister und macht Maigret mit großer Dringlichkeit klar, dass er nicht verrückt wäre, es aber lebenswichtig wäre, dass der Kommissar ihn anhöre. Er habe vor seine Frau umzubringen und wollte das der Ordnung halber schon mal mitteilen. Das ist doch das, was ein Polizeikommissar an einem Samstag Abend hören möchte, oder?

Was macht man, wenn einem so etwas offenbart wird? Maigret macht das, was ich auch getan hätte, und fragt, aus welchem Grund Planchon das zu tun gedenke? Darauf hat der Malermeister eine gute Antwort: seine Frau würde ihn betrügen. Es gab einmal Zeiten, da war es rechtens, in einem solchen Fall die Untreue und den ehebrechenden externen Faktor auf beliebige Art und Weise auszuschalten. In der letzten, etwas aufgeklärteren Zeit, ist das aus der Mode gekommen.

Was Maigret dann geschildert bekommt, lässt einem die Haare zu Berge stehen. Es genügte der Frau nicht, den Mann mit ihrer Untreue zu demütigen, sie ließ ihren Liebhaber auch in das Haus einziehen und verbannte ihren Mann aus dem Schlafzimmer auf eine Liege, die tagsüber in einem Wandschrank verstaut wurde. Der Liebhaber seiner Frau hieß Roger Prou und war ein Angestellter von Planchon – der sich nicht nur damit begnügte im Bett von Planchons Ehefrau den Ton anzugeben, sondern auch im Geschäft. Was ihn hielt, war seine Tochter – aber wie lange reichte das?

Ein Punkt zum anderen und Maigret ist überzeugt, wenn der Mann seine angekündigte Tag umsetzen würde, er von keinem Geschworenengericht verurteilt würde. Das ist aber weder für den potentiellen Täter noch für seine potentiellen Opfer ein Trost (für Letztere ja nun schon gar nicht).

Solcherart aus seinem Leben gedrängt, flieht der schüchterne Mann in den Alkohol und ist allabendlich in den Bars und Bistros seines Viertels zu finden.

Maigret hatte versucht ihm das auszureden. Er entließ den Mann nur nach dessen Versprechen, dass er sich jeden Tag am Quai melden würde, und sei es telefonisch. Am nächsten Tag klappte das auch wunderbar, auch am übernächsten – kein Problem.

Am Dienstag jedoch meldete sich der Malermeister nicht mehr beim Kommissar, was dem keine Ruhe ließ. Die Testanrufe im Hause Planchon brachten keine Beruhigung. Die Frau teilte Maigret mit, dass ihr Mann »weg« sei, wohin wüsste sie nicht, sei ihr egal und überdies auch höchste Zeit gewesen. Das Gespräch brachte der Frau keine Sympathiepunkte…

»Ich möchte gern den Liebhaber, einen gewissen Roger Prou, vernehmen. Vielleicht auch die drei oder vier Arbeiter, die in der Rue Tholozé angestellt sind.«

Staatsanwälte sind ja nie glücklich, dieser war aber besonders unglücklich; genehmigt die Vorladung nur nach vielen »wenn« und »aber« – eine Gelegenheit für Maigret vergangenen Zeiten nachzutrauern. Staatsanwälte müssen auch nicht glücklich sein, wenn es Maigret notwendig erscheint, den Haushalt Planchon zu sezieren.