Über die Story

Von draußen hörte Maigret den Ruf: »Onkel!...«, seine Frau war schon aufgestanden und schaute aus dem Fenster. Vor der Tür stand Philippe, der Sohn der Schwägerin aus dem Elsaß. Seine Nächte im Ruhestand hatte sich Maigret etwas anders vorgestellt.

Sein Neffe, Inspektor bei der Pariser Kriminalpolizei wie ehemals auch Maigret, sah sich in großen Schwierigkeiten. Er hatte den Auftrag ein Lokal zu überwachen, war aber so »klug« gewesen, dieses lieber aus dem Lokal heraus zu überwachen. Mitten in der Nacht, das Lokal war schon sein längerem geschlossen, hörte er einen Schuss und als er in den Saal hinauslief, sah er einen seiner Überwachungsaufträge dort tot rumliegen. Er hörte ein Geräusch, es gab einen kleinen Schusswechsel mit einem Unbekannten. Kurze Zeit später: Philippe stand mit zwei Waffen in der Hand mitten im Tanzsaal, in der einen Hand die seinige, in der anderen die des toten Überwachungsauftrages - Pepito. Er drückte Letztere dem ursprünglichen Eigentümer wieder in die Hand und rannte aus der Lokalität. Sein größtes Pech erwartete ihn noch: er rannte aus der Tür kommend gegen einen Mann.

Sein Unglück kaum begreifend, flüchtete er zu Maigret, dass ihm dieser helfend zur Seite stehen werde. Unterstützung vom Direktor der Kriminalpolizei oder dem leitenden Kommissar – namens Amadieu – konnte der Neffe nicht erwarten, also machte Maigret sich auf den Weg.

Er schlägt sein Quartier in dem Restaurant »Chope du Pont-Neuf« auf, ein bekannter Treff von Polizisten der verschiedensten Dezernate. Maigret kannte viele von ihnen, einige Gesichter waren aber auch neu. Denen wurde zugemurmelt: »Schau, das ist Maigret!« Auch sein Gegenspieler auf Seite der Polizei – Amadieu – war anwesend. Er konnte Maigret nicht ausstehen, mit den Methoden, die der Ex-Kommissar anzuwenden pflegte, nichts anfangen. Jetzt hatte er einen riesigen Vorteil, er war der offizielle Ermittler und hatte auf den ganzen Polizeiapparat Zugriff. Amadieu hatte aber auch mit einem riesigen Nachteil zu kämpfen: der Mythos Maigret hatte sich eingemischt.

Im Club »Floria« beginnt Maigret mit seinen Untersuchungen, die er übrigens sehr gemächlich angeht. Ein Mädchen klärt ihn über die »aktuellen« Verhältnisse auf und Maigret, der nicht den großen Polizisten herauskehrt, spendiert dem Mädchen einen Drink. (Das Mädchen ist zu jung, um sich zu erinnern, was früher gewesen wäre. Früher, muss sich Maigret eingestehen, hätte jedes Mädchen gewusst, wem sie da Informationen gab.) Dann entspann sich eine Unterhaltung mit dem Chef des Clubs.

»Sie wissen ja wohl, dass es einen jungen Mann gibt, der ganz dumm in diese Sache hineingeschlittert ist?«
»Ich habe in der Zeitung so etwas gelesen. Ein kleiner Polizist, der sich im Waschraum versteckt hatte und dann, als ihn die Angst packte, Pepito erschoss.«
Die Jazzband spielte weiter. Ein Engländer, der ebenso steif wie betrunken war, streifte Maigret und murmelte:
»Pardon.«
»Keine Ursache!«
Von der Bar aus betrachtete Fernande ihn mit besorgten Blicken. Maigret lächelte ihr zu.
»Die jungen Polizisten sind einfach unbesonnen«, stellte Cageot seufzend fest.
»Das habe ich meinem Neffen auch gesagt.«
»Ihr Neffe interessiert sich für solche Dinge?«
»Er ist ausgerechnet der Junge, der sich im Waschraum versteckt hatte.«
Cageot konnte nicht erbleichen, denn er war immer weiß wie Kreide. Doch er trank hastig einen Schluck Mineralwasser. Dann wischte er sich den Mund ab.

Maigret ist klar, dass Cageot der Mann ist, an den er sich halten muss. Vielleicht hat Cageot nicht selbst den Schuss auf Pepito abgegeben, aber er hat ihn zumindest angeordnet. Wie kommt Maigret an Cageot heran? Obwohl schon auf Seite 40 klar ist, wer der Schuldige ist, wird daraus eine äußerst spannende Erzählung, in der Simenon mit den Gefühlen der verschiedenen Protagonisten spielt. Da ist Lucas, der ehemalige Getreue, der sich plötzlich dem König gegenüber sieht, der abgedankt hat, aber nun wieder seine Loyalität fordert. Amadieu, der zwar die Fäden in der Hand hat, aber einen wie Maigret auch nicht bloßstellen darf, da noch viele seiner Mitarbeiter in den Reihen der Kriminalpolizei zu finden sind. Zu denen gehört auch der Direktor der Kriminalpolizei, ein guter Freund Maigrets, der aber auch in der Zwickmühle steckt, Maigrets Wünschen nachzugeben oder seinen Mitarbeitern die Entscheidung zu überlassen. Na und letztendlich die »Bösen«, die äußerst überrascht über das Auftauchen der Legende Maigret sind – es hätte nicht schlimmer kommen können…

Die Erzählung ist für mich mit eine der besten Maigret-Erzählungen. Man beachte, dass die Erzählung im Original nur den Namen des Kommissars als Titel trägt. Erst ab diesem Zeitpunkt – anders als bei den deutschen Gepflogenheiten – erscheinen Titel á la »Maigret et ...«.