Stanley G. Eskin – Simenon

Die Referenz


Wurde man von der Welt Simenons gefangen genommen, kommt unweigerlich der Punkt, an dem man mehr über den Autor wissen möchte. Wikipedia und auch diese Webseite sind zu kurz angebunden, also schaut man nach einem Buch über den Schriftsteller. Was an deutschsprachiger Literatur zur Verfügung steht, ist übersichtlich – um es wohlwollend zu formulieren.

Wer schnell etwas erfahren will, der greift zu dem Buch von Nicole Geeraert, welches bei Rowohlt erschienen ist. Wer es ein wenig ausführlicher mag, der hat die Wahl: Fenton Bresler, Stanley G. Eskin oder Patrick Marnham. Zu welchem Titel man greift, hängt davon hab, welchen Stil von Biografie man vorzieht.

Die Autoren sind oben in der Reihenfolge genannt, in der ihre Werke über Simenon erschienen. Der Abstand des Erscheinens der Biografien zwischen Eskin und Marnham ist nicht so groß, dass dies ein entscheidendes Kriterium sein würde – aber die letzten beiden Lebensjahre konnte nur Marnham betrachten, denn Eskins Biografie entstand 1987. Einen Makel sehe ich darin nicht, da ich nicht glaube, dass Simenons letzten beiden Jahre rege und entscheidend gewesen waren. Breslers Werk entstand zu Beginn der 1980er-Jahre, sodass zwar eine umfassende Würdigung des literarischen Lebens möglich war, aber die späten Jahre nicht betrachtet werden konnten.

Alle hier genannten Biografien haben zwei Makel: Sie sind dreißig Jahre und älter und neuere Erkenntnisse und Forschungen über das Werk und Leben von Simeon – und es würde mich wundern, wenn es da nicht etwas gäbe – kommen nicht zum Tragen. Zum anderen gab es keine aktualisierten Auflagen. 

Alle hier genannten Biografien sind nur noch antiquarisch erhältlich.

Der Eskin

Die deutschsprachige Ausgabe der Biografie von Stanley G. Eskin erschien im Diogenes-Verlag. Da dies der offizielle »Simenon-Verlag« war, adelte das die Biografie. 

Es zeugt von einem gewissen Understatement, dass als Untertitel vom Verlag die Zeile »Eine Biografie« gewählt wurde, schließlich war (und ist) es nicht so, dass sich zahllose Lebensbeschreibungen von Simenon auf dem Markt tummelten. Der Autor selbst hatte ausführliche autobiografische Notizen hinterlassen, hinzu kommen zahllose Diktate – und besetzte damit diese Nische selbst. Von den Tonband-Aufzeichnungen ist aber nur ein Bruchteil auf dem hiesigen Literaturmarkt angekommen.

Zumindest für den deutschsprachigen Buchmarkt gilt die Aussage: Es ist DIE Biografie über Simenon.

Bevor es mit der Beschreibung von Geburt und Kindheit des Schriftstellers losgeht, wird auf siebzehn Seiten sehr genau betrachtet, wie es um den Stammbaum von Simenon steht. Man wird als Leser gewappnet zu verstehen, was Simenon die ersten Jahre auf jeden Fall, vielleicht sogar sein ganzes Leben prägen sollte. Dem Stammbaum folgen in der mir vorliegenden Ausgabe 400 Seiten, in dem gefühlt jeder Stein umgedreht wird – aufgeteilt in 17 Abschnitte.

In keiner der hier erwähnten Biografien wurde sich ausführlicher mit Leben und Werk von Simenon auseinandergesetzt. Die Literatur des Autoren wird nicht in eigenen Kapiteln behandelt, sondern in Bezug zu den einzelnen Lebensphasen gesetzt.

Wem würde ich dieses Buch empfehlen?

Es ist das richtige Buch für die Leser:innen, die schon in die literarische Welt von Simenon eingetaucht sind. Hier insbesondere für diejenigen, die nicht nur am Leben des Schriftstellers interessiert sind, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Entstehung des Werkes erlangen wollen. 

Mustergültig ist der Anhang zu dem Buch, eine ausführlichere Zusammenfassung findet man im deutschsprachigen Titel nicht – mit der kleinen Einschränkung, dass es sich um einen Stand vor dreißig Jahren handelt.

Für mich hat sich das Buch immer wieder als Nachschlagewerk bewährt. Will man etwas aus dem Leben von Simenon wissen, dann hat man in dem Eskin eine schnelle und zuverlässige Quelle.

Später vielleicht ...

Für die Leser:innen, die gerade in die Welt von Simenon hineingestolpert sind und die die Neugierde erfasst hat, wer denn der Autor ist und sich nicht unbedingt mit dem literarischen Werk auseinandersetzen wollen, ist das Buch weniger geeignet. Ich halte es nicht für einen unterhaltsamen Schmöker, den man einfach mal so wegliest. Dazu ist es zu nüchtern und sachlich geschrieben.

Wer der französischen Sprache mächtig ist und sich für das Werk von Simenon interessiert, sollte die Biografie von Pierre Assouline in Erwägung ziehen, die auch sehr gute Kritiken bekommen hat. Eine deutsche Ausgabe liegt bisher nicht vor.

No way

Von einer Option möchte ich abraten, wenn es darum geht, einen Überblick über das Leben von Simenon zu bekommen: Sie auf seine Selbstbekenntnisse verlassen. Simenon mag so manches preisgegeben haben und er scheute weder das Sensationelle noch das Intime. Das heißt aber nicht, dass er nicht ein gutes Bild von sich zeichnen wollte – und darunter litt die Wahrheit gehörig.