Es regnet


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Briefwechsel zwischen Schriftstellern können bei aller Qualität des literarischen Werkes hochlangweilige Angelegenheiten sein. Magdalen Nabb und Georges Simenon hatten auch einen solchen, aber hier geht es nur um den letzten Brief Nabbs an Simenon, in dem die ungesagten Dinge stehen. Ein schönes Stück Literatur.

Nein, das kann keine Beschreibung werden, denn was Magdalen Nabb in »Vénérable Monsieur Simenon, lieber Papa…« geschrieben hat, lässt sich nicht in eine solche Beschreibung packen. Vor geraumer Zeit bin ich mal im Forum angesprochen worden, was es denn mit diesem Brief auf sich hatte. Ich konnte meine Quelle aber nicht finden und vertröstete den Fragenden auf die Zeit nach dem Umzug, wo ich meine vermisste Quelle - ein Diogenes-Tintenfass - sicher wieder gefunden hätte. Und da so ein Umzug immer eine reinigende Wirkung hat, so war das Tintenfass nicht unmittelbar nach dem Umzug dar, aber nach dem jetzt alles seine Form gefunden hatte, konnte ich es beiseite lesen, um mal ein paar Zeilen darüber verfassen.

Mehr als ein paar Zeilen sollen es eigentlich nicht werden. Die Erklärung dafür ist auch recht einfach: Ich habe die Erinnerungen gelesen und freute mich, dass ich auf ein eindrucksvolles Stück Literatur gestoßen bin, welches das Kunststück verbringt, ein Stück Geschichte der Schriftstellerin mit der Geschichte eines anderen Schriftstellers zu verbinden und eine herzliche und trotzdem distanzierte Beziehung zu nachzuzeichnen.

Besonders schön fand ich folgende Konstellation. Magdalen Nabb fährt am Anfang ihrer Karriere nach Florenz, um in einem Archiv ein Foto für ihr erstes Buch herauszusuchen. Sie ist einer Stimmung, in der sie die Welt umarmen kann. Ja, das erste Buch!, das ist schließlich was. Wahrscheinlich auch um sich ein wenig abzukühlen, liest sie in den beiden Büchern, die mitgenommen hat. Da war zum einen ein Erzählband von Thomas Hardy und zum anderen »Maigret auf der Bank«. Das Vergnügen Thomas Hardy zu lesen, und ich muss gestehen, dass mir der Name nichts sagt - geschweige denn, dass ich schon mal eine Zeile von ihm gelesen hätte, aber das Leben ist ja noch lang - fasst sie so zusammen:

Ich lehne mich zurück und genieße dies. Ein wunderschönes Beispiel beschreibender Literatur. In der Regel kann ich Beschreibungen nicht viel abgewinnen. Wenn ich eine längere Passage herannahen sehe, fangen meine Augen an darüber hinwegzuhuschen.

Da habe ich mich erwischt! Ich lese genauso. Das heißt ja nicht, dass man den Text nicht wahrnimmt und überspringt, schließlich ist des Lesers Auge wachsam, um dann, wenn etwas Wesentliches passiert, wieder in Habacht-Stellung zu gehen. Und so geht es weiter:

Hardys Beschreibung erstreckt sich über mehrere Seiten, aber sie ist wirklich gut. Der Regen ist ein speziell englischer Regen und die grüne Landschaft eine speziell englische grüne Landschaft. Es ist eine typische Hardy-Landschaft. Ich halte an,  unterbreche die Lektüre, um ganz und gar unkindlich den Autor zu bewundern.

Dann packt sie den Hardy weg und greift zum uns vertrauten Maigret, fängt an zu lesen. Zu lesen. Bis sie ankommt.

Keine Pause der Bewunderung. Ich lese weiter. Doch während ich weiter lese, spüre ich eine vage Unruhe in mir.

Und wieder fühle ich mich erwischt. Ich fahre wirklich viel mit dem Zug und so kann ich bestätigen, dass ich Zugfahrten absolviere, bei denen ich ein Buch dabei habe und viel Zeit habe, aus dem Fenster zu schauen, die Landschaft zu betrachten oder die Menschen, die meine Passagiere sind, um mich dann weiterzulesen. Besser sind sicher die Bücher, bei denen mir Landschaft und Mitmenschen völlig egal sind. Man kann sicher solchen Autoren die Schuld geben, wenn ich nicht sofort aufspringe und alten Damen den Koffer nach oben auf die Gepäckablage stelle, wie ich es normalerweise tue. Aber ich bin einer Art künstlichem Lese-Koma, in das mich der Autor versetzt hat.

Es gibt Schriftsteller, deren schöne Sprache man bewundert, und solche, bei denen man zum Regenschirm greift, wenn sie sagen, dass es regnet.

Magdalen Nabb fühlte sich von den Büchern, die sie von Simenon gelesen hatte, inspiriert und hatte ihm deshalb ihre Erstveröffentlichung zugeschickt. Eine Reaktion von Simenon hatte sie nicht ernsthaft erwartet, um so überraschter war sie, als sie sah, dass am 7. Januar 1982 ein Briefwechsel seinen Anfang nahm und wenn man Nabb glauben darf, war Simenon mehr als interessiert an ihren Büchern und ein Briefwechsel kam zustande, in dem Simenon seine junge Kollegin immer wieder ermunterte, weiter zu machen, auch wenn sie das Gefühl hatte, nicht vom Fleck zu kommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Wahrnehmung Simenons korrekt ist, deshalb möchte ich es hier erwähnen. Der Briefwechsel zwischen Simenon und Nabb begann kurz nach der Veröffentlichung der »Intimen Memoiren« Simenons und so schreibt Simenon in einem Brief:

Mein Buch hat sehr viel mehr gute als schlechte Besprechungen bekommen.

Meine Empfehlung für diesen Text kann nur lauten lesen, obwohl das leichter gesagt (und geschrieben) als getan ist. Schließlich ist es kein aktueller Text, sondern erschien in dem Tintenfass Nr. 24 (»Verbrechen, die sich lohnen«), das 2000 erschienen ist. Schon ein Weilchen her, aber antiquarisch bekommt man es auf jeden Fall. ebenfalls in diesem Band zu finden, die bisher noch nicht weiter veröffentlichte Maigret-Geschichte »Der Drohbrief« und die Geschichte von Gabriel García Marquez »Dieselbe Geschichte, nur anders«.

Magdalen Nabb war übrigens das biblische Alter Simenons nicht vergönnt. Sie verstarb 2007 sechzigjährig in ihrer Wahlheimat Florenz.