Briefe vom Lehrer


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Mochte er auch bekennen, dass er nie etwas von André Gide gelesen habe, so galten die Worte des alten französischen Meisters Simenon viel. Der kannte das Schaffen Simenons dagegen hervorragend. Von den 30ern bis zum Tode André Gides zog sich der Briefwechsel der beiden Schriftsteller hin. Lesenswert ist der von Diogenes herausgegebene Briefwechsel auf jeden Fall.

Die Lektüre von »Carissimo Simenon - Mon cher Fellini« war unterhaltsam. Es war interessant zu lesen, was die beiden Männer bewegte, wie Simenon als Älterer Fellini immer wieder aufbaute. Manchmal konnte man sich aber nicht des Eindrucks erwehren, dass es einen Art gegenseitiger Selbstbeweihräucherung war – dem Briefwechsel zwischen dem jüngeren Simenon und dem alten André Gide kann man diesen Vorwurf nicht machen. Vielleicht ist es ja meine subjektive Sichtweise, aber die meisten Briefe in diesem Briefwechsel haben mehr Substanz und man liest sie gern und schnell weg.

Ein schneller Ritt durch das Werk der dreißiger und vierziger Jahre. Bei den Zitaten, die man auf den Buchrücken findet, finden sich meist die Lobpreisungen. Das Simenon nicht nur mit Lob überschüttet wurde, bekommt man schnell heraus und auch so ein Verehrer wie Gide versäumt es nicht, seinen Freund zu kritisieren, ihn auf seine Schwächen im Werk hinzuweisen.

In diesem Briefwechsel, von dem ich nicht weiß, ob er im »Lesebuch« vollständig wiedergegeben wird (zumindest dem entspricht, was in der Originalausgabe zu lesen ist), sind zwei Phasen zu beobachten. In der ersten Phase schreibt Simenon sehr viel an Gide und es scheint, dass nicht jeder Brief von ihm, Resonanz erzeugte. Der zweite Teil des Briefwechsel geht von 1945 bis 1950, in dem Gide mehr schreibt. Das mag nun aber in der Auswahl liegen, die die Herausgeber getroffen haben.

Der erste Brief stammt aus dem Jahr 1938 (höchstwahrscheinlich Dezember) und wurde von Simenon aus dem holländischen Sneek nach Paris gesendet. Er bedankt sich für die freundlichen Worte Gides, die sie bei einem Telefongespräch ausgetauscht hatten. Dieses Gespräch, das ist den Zeilen zu entnehmen, war Simenon sehr viel wert. Das ist der Zeitpunkt, zu dem Simenon beginnt, Gide regelmäßig mit seinen Büchern zu versorgen. Aber nicht nur mit den fertigen Büchern, sondern auch mit Fahnen zu seinen Büchern, so dass der Schriftsteller Gide schon vor der Veröffentlichung Einblick in das Werk hatte und häufig auch im Herstellungsprozess Simenon noch Anregung gab.

Auf »Stammbaum« hatte Gide sogar maßgeblichen Einfluss und sorgte dafür, dass die ursprüngliche Simenonsche Konzeption des Werkes komplett »umgeschmissen« wurde und aus einem autobiographischen Werk, zwei wurden – nämlich die einmal angedachten autobiographischen Notizen und ein autobiographisch geprägter Roman, der das Leben in Lüttich und insbesondere der Familie Simenon und ihrer weitverzweigten Verwandtschaft widergibt.

Gide scheut sich zu keiner Zeit und bei aller Zuneigung zu Simenon, die er zu Simenon hat, nicht, heftige Kritik an dessen Werk zu äußern – auch in dem er sagte, er sei von diesem oder jenem Werk mehr enttäuscht.

Simenon hat es mit dem Werk von Gide allerdings nicht so und es wird in den Briefen auch nicht thematisiert. Zwar schreibt er in einem sehr langen Brief Anfang 1939 an Gide, »dass Sie der Meister sind, oder an das Stimmungstief, in das ich vor kurzem erst durch die neuerliche Lektüre Ihrer Werke geraten bin., bekannte aber in »Als ich alt war«:

»Versucht, Gide zu lese, dessen Freund ich werden sollte. Konnte nicht. Habe es ihm nie gesagt.

So konnte sich Simenon nie das Bild über das Werk seines Freundes machen, wie der andere, der bis zu seinem Tode wohl alles bis dahin Erschienen gelesen hatte und sich das in entfernte Länder nachschicken ließ und, trotz aller Kritik, die er an den Büchern äußerte, ein Werber für das Werk von Simenon war. Sei es, in dem er mit Freunden über die Bücher redete oder sich nicht scheute, auf Fotos mit Büchern seines Freundes zu posieren. Ein dickes Dossier dürfte Gide über das Werk seines Freundes hinterlassen habe, denn zu allen Werken machte er sich feinsäuberliche Notizen, mit dem Wunsch, diese einmal mit Simenon durchgehen zu können.

André Gide wurde am 22. November 1869 in Paris geboren, am 19. Februar 1951 starb er in seiner Heimatstadt. 1947 bekam der in den letzten Jahren des Briefwechsels immer wieder über Gesundheitsprobleme klagende Gide den Literaturnobelpreis (einige Werke: »Die Verliese des Vatikan«, »Die Falschmünzer«, »Die Schule der Frauen«), ein Preis über den er sich sehr freute, der ihn aber auch die Erkenntnis brachte, dass es gesundheitlich nicht mehr aufwärts ginge. Sein nahes Ende ahnend, verabschiedet er sich etwa drei Monate vor seinem Tod von Simenon mit den Worten:

Lieber Simenon, ich mag Sie sehr, und ich umarme Sie.