Die saubere Variante


Mit Gift ist das so eine Sache: wie hinlänglich aus Filmen bekannt, weiß man nie, ob das Gift den Adressaten erreicht. Hat man es in ein Glas getan, so wird dieses später vertauscht und man muss befürchten, dass man selbst das vergiftete Getränk bekommt; hat man es in Mahlzeiten vermischt, steht man vor dem Problem, dass man entweder etwas anderes essen muss oder fertig präparierte Tellter auf den Tisch bringt. Man steht bei der Giftvergabe vor unzähligen Problemen.

Bébé Donge hatte sich als unauffällige Variante den Kaffee ihres Mannes gewählt – sie goss ihm eine Tasse ein und ließ unauffällig eine entsprechende Dosis fallen. Der Mann, Chemiker von Beruf, kannte die Symptome und rettete sein Leben. Anschließend konnte er in einem wochenlangen Krankenbett seinen Gedanken nachhängen, um herauszufinden, warum ihn seine Frau umbringen wollte. Er erkannte »Die Wahrheit über Bébé Donge«.

Manche Fälle sind so raffiniert, dass man es gar nicht glauben kann. Da war dieser Pariser Arzt, der eine Affäre mit seinem Dienstmädchen hatte, welches später vergiftet und schwanger aufgefunden wurde. Der Arzt hatte nun mit einem Makel zu leben, abgesehen davon, dass ihm die Kriminalpolizei auf den Fersen war. Glücklicherweise hatte er es mit Maigret zu tun, der bald herausbekam, dass die Unglückliche Kuchen gegessen hatte, der von dem lieben Herren Lundi gebracht wurde. Keiner im Hause verdächtigte den Clochard, Maigret geht dieser Spur trotzdem nach und deckt eine raffinierte Intrige auf, in der »Monsieur Lundi« nur der Spielball war.

Louise Lomel besaß nicht die gleiche Geschicklichkeit, dafür hatte sie sehr viel Geduld. Das Arsenik bekam ihr Mann nur an den Tagen verabreicht, an denen es Kartoffelbrei gab, den sie nicht aß. Im Gegensatz zu François Donge hatte es Étienne nicht mit einer einmaligen Dosis zu tun, er bekam sie häufiger verabreicht. Der Mann, der ahnt, dass er vergiftet wird, marschiert von Arzt zu Arzt; aber keiner kann ihm richtig helfen. Lomel hat den ersten Ehemann von Louise vor den Augen, der ebenfalls an einer Vergiftung starb. Was ihn damals nicht berührte, weckt heute sein Interesse. So liegt er anfangs fassungslos und krank im Bett, darauf wartend, dass seine Frau »Die Eisentreppe« emporsteigt, um seinen Zustand zu kontrollieren, im Wissen, dass sie sich über gesundheitliche Fortschritte positiver Art nicht freuen würde.

Simenon hat immer wieder das Gift-Thema in seinen Büchern. In den allermeisten Fällen sind es Frauen, die mit dem Gedanken spielen, auf diese Art und Weise Gegenspieler um die Ecke zu bringen. Auch wenn Frauen dieses Mord-Art bevorzugen (weil sie so sauber ist, was einmal dahingestellt sei), war und ist es nicht nur Frauen vorbehalten, diese Variante zu wählen. In der italienischen Renaissance zum Beispiel nutzten Politiker und Kirchenmänner das Gift sehr gern, um Widersacher aus dem Wege zu räumen und den Stammbaum zu reinigen.