Der Baum steht nicht mehr


Wir sind reichlich unvorbereitet nach Lausanne gefahren. Das lag auch daran, dass wir vom Vorschlag des Routenplaners überrascht wurden. Der schickte uns nicht über die übliche Route an die Côte d'Azur, die über Lyon führt, sondern durch die Schweiz und Italien. Da haben wir uns eine schöne Route ausgesucht und auf dem Hinweg Italien gemieden. So gab es die Auswahl zwischen Bern und Lausanne und in Hinblick Simenon schien uns Lausanne eine gute Wahl zu sein. Schnell mit den Schweizer Freunden kommuniziert, die wohl unser Ankommen als Überfall, quasi Blitz-Tourismus, betrachten mussten.

In Lausanne gab es zwei Stationen, die wir betrachten wollten. Zum einen den letzten Wohnsitz von Simenon in der Stadt und wenn es ging auch den schlossähnlichen Bau in Epalinges. Wir trafen uns mit Peter Lüdi am Bahnhof. Der Bahnhof ist schon beachtenswert. Er hat ziemlich viele Aus- und Eingänge und eine gute Idee ist es, sich an der Toilette zu treffen. Jetzt, wo wir sogar noch ein wenig klüger sind, ist vielleicht auch die Touristen-Information im Bahnhof ein guter Ort, um sich zu orientieren. So unvorbereitet wir wir war auch Peter. Auf die Frage, wo wir denn hin müssten, zuckte er mit den Schultern. Er war davon ausgegangen, ich wüsste es. Ehrlich, das ehrte mich, ich konnte den Erwartungen aber nicht gerecht werden. Bitter.

Wir hatten aber die Touristen-Information direkt an Ort und Stelle. Dort bekamen wir die gewünschte Information. Es gibt übrigens kein Extra-Material über Simenon von der Touristen-Information, seine Adresse steht auf einem Zettel zusammen mit vielen anderen Kindern der Stadt Lausanne. Wir machten uns auf den Weg. Empfehlenswert ist der Weg zum See, dann am See entlang marschieren und irgendwann sieht man schon die Hochhäuser. Ich hatte noch nicht erwähnt, dass Lausanne eine recht bergige Stadt. Was man runtergegangen ist, muss man auch wieder hoch gehen.

Auf dem Zettel stand keine Straße und keine Hausnummer. Wir standen also vor drei Hochhäusern, die sich phänomenaler Weise sehr ähnlich sahen. Vielleicht konnte man es an dem Baum festmachen, der zum Beispiel auf den Memoiren von Simenon zu sehen ist… Nichts da. Peter war unerschrocken und griff zu einem probaten Mittel: Er fragte. Am ersten Haus, an dem wir (ja, vielmehr Peter) klingelten, rührte sich nichts. Dann das Haus daneben: Die Tür öffnete sich auf unser Klingeln hin. Ein Mann, mittleres Alter macht auf, Freizeitkleidung. Wir stellten uns als Mitglieder der Simenon-Gesellschaft vor - man kommt sich dann immer so wichtig vor, mir ist andererseits auch peinlich, warum weiß ich übrigens nicht - und wir würden den ehemaligen Wohnsitz von Simenon suchen. Oh ja, wir wären richtig. Das wäre das Haus.

Gebannt starrten wir auf den Wohnraum-Nachfolger Simenons, der zu unserer Überraschung fragte, ob wir eintreten wollten. Was für eine Frage! Was sahen wir: ein wirklich kleines Wohnzimmer, ein Blick in die Toilette und der Blick in den Garten. Er gab uns eine Schilderung, wie es früher ausgesehen hatte - der Besitzer, Monsieur Meyer, hatte das Haus direkt von den Erben Simenons gekauft und konnte so beschreiben, wo das Bett in dem Haus stand, wie Simenon eingerichtet war. Jetzt gab es nur noch ein paar Erinnerung an Simenon in Form von Fotografien und Autographen.

Wir betraten den Garten. Er wirkte so klein. Respekt dem Fotografen, der Simenon unter dem Baum aufgenommen hat und der den gesamten Baum draufbekommen hatte. Der Garten ist nicht nur klein, sondern auch an der linken und rechten Seite beschränkt von den Nachbargrundstücken. Denn Simenons ehemaliges Haus war nicht freistehend und wirkte zwischen den daneben stehenden Häusern, auch nicht gerade Paläste, wie ein kleines Puppenhaus. Der Baum ist übrigens nicht mehr vorhanden. Der Besitzer meinte, er hätte den Baum wegnehmen müssen, da er krank gewesen war. Man sah, dass es ihm der Seele Leid tat. Das Haus steht übrigens zum Verkauf. Wir haben eine kurze Kassenprüfung der Simenon-Gesellschaft vorgenommen: Immoblien-Erwerb ist im Augenblick nicht drin.

Nach diesem Erfolg gingen wir motiviert und tranken erst mal ein anständiges Bier, so wie es Maigret auch getan hatte (gut, ich tat das: Susann begnügte sich mit einem Kaffee, Peter gar nur mit einem Wasser).

Angestachelt von dem Erfolg, setzten wir uns ins Auto und machten uns auf den Weg nach Epalinges. Die Sonne ging schon unter und wir stellten fest, dass dieser Vorort von Lausanne ganz und gar nicht klein war. Wir irrten durch den Ort, ohne ein Indiz zu finden oder jemanden, den man hätte fragen können. Angesichts der hohen Benzin-Preise und des spürbaren Appetits brachen wir im Halb-Dunkel die Suche ab und fuhren in die Stadt.

Dabei fuhren wir an einem Hotel vorbei, dass ich nur schemenhaft wahrnahm. Vier Tage später wusste ich, dass es besser gewesen, wäre, wenn ich angehalten hätte und das Gebäude näher inspiziert hätte: Es war Schauplatz in einem Maigret-Roman. Der Titel? »Maigret auf Reisen«.