60 Jahre Diogenes


Im Jahre 1986 wurde Daniel Keel interviewt und bekam dabei, die Frage gestellt, warum sein verlegerischer Ehrgeiz darauf ausgerichtet sei, neue Autoren zu entdecken. Er antwortete daraufhin: »Im Übrigen drucke ich lieber Čechov, D. H. Lawrence und Simenon, diese alten echten Wilden, als anämische neu Möchtegerns. Das Neue ist nicht immer das Beste.« Womit er klaglos Recht hat und man sich dabei wirklich fragen muss, ob die Veröffentlichung der Werke der alten Wilden (heute) betriebswirtschaftlich wirklich sinnvoll ist oder nicht zu einem großen Teil auch literarische Liebhaberei ist. Keel veröffentlichte lieber Qualität, die sich nicht verkauft, als sich mäßig verkaufenden Krams. (Die Formulierung »Krams« stammt nicht aus dem Munde Keels.)

Hin und wieder mal ein Bestseller, an dem selbst die Literaturkritik nicht aussetzen kann und fertig ist das Erfolgsrezept des Zürcher Verlags? Wenn es denn so einfach wäre. In zwei Bänden, die der Verlag zu seinem 60. Verlagsjubiläum herausgegeben hat, kann man auf Spurensuche gehen. Im Band »Spätlese« findet der interessierte Leser Aufsätze, Reden und Gespräche mit Daniel Keel, dem Verlagsgründer. Nun würde ich die Zeilen hier auch schreiben, wenn es nichts mit Simenon zu tun hat - aus reiner Sympathie schon. Aber zum großen Glück von Simenon-Liebhabern finden sich in dem Band auch zahlreiche, kleine und große Spuren.

Im besagten Interview wird der Autor nur erwähnt, ein paar Seiten haben die Herausgeber ein kurzes Interview von Keel mit Buch aktuell ausgegraben, in dem er erzählt, wie er Simenons Verleger geworden ist (dank Frederico Fellini). Es ist nur natürlich, dass Simenon immer und immer wieder erwähnt wird. Keel unterlässt es in fast keinem längeren Interview, den Namen dieses Autoren fallen zu lassen. Das ist auch nur zu verständlich, denn auf die Frage, von welchem Autor er die meisten Bücher herausgegeben hat, kann nur der Name Simenon fallen. Gesehen haben sie sich selten, erzählt Keel.

Er war sehr höflich, nie schwierig; ein Asket war er, weiß Gott, nicht.

2009 meinte Keel in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger, das Simenon zu einem modernen Klassiker geworden ist. Was würde man in ein Simenon-Regal daneben stellen, wird er 2011 von John Simenon gefragt. Aus meiner Sicht ist die Frage ein wenig komisch, denn die Antwort müsste lauten: »In den Bücherschrank neben das Regal mit den Simenons stelle ich ...« Aber Schweizer sind als höfliche Menschen bekannt und so kommt eine Liste von Romanen in der unter anderem Dürrenmatt, Highsmith, Kafka erwähnt werden. Soweit ich das überblicken kann, aber alles Bücher, die in seinem Verlag verlegt worden sind. Noch interessanter dürfte ein übersetzter Artikel aus der Le Monde sein, der mit dem Satz

Ich konnte nie glauben, dass Simenon wirklich existiert.

beginnt und beschreibt, wie und warum er Simenon verlegt hat. Dabei verliert auch deutliche Worte über die Übersetzungen der früheren Tage:

Die frühen Übersetzungen waren nicht nur gekürzt, sondern oft schlecht. Schlimmer noch: Die Übdersetzer griffen zum Teil fatal in den Text ein. Ein Paradebeispiel ist der Fall Paul Celan, der einer der ersten Simenon-Übersetzer war und 1955 zum Glück nur zwei Maigrets übersetzte.

Der zweite Band - »Dies & Das zu Diogenes« - ist aus Simenon-Sicht ein wenig uninteressanter. Simenon wird erwähnt, aber eigentlich ist es eine Sammlung von Briefen an den Verleger, Nachrufe auf den 2011 verstorbenen Daniel Keel und Beschreibungen, wie der Erzähl-Prozess von statten geht. Im Diogenes-Autoren-Album darf Simenon natürlich nicht fehlen, genauso wenig wie im ebenfalls erschienenen Diogenes-Bücher-Album.

Besonders erwähnenswert erscheint mir aber, dass Diogenes zum 60. Jubiläum die erste Produktion wiederaufgelegt haben: »Weil noch das Lämpchen glüht« von Ronald Searle, ein Band mit Karikaturen und einem Vorwort von Friedrich Dürrenmatt.