Über die Story

Was will die Frau, ist die unwillkürliche Frage, wenn man mit dem Anfang konfrontiert wird? Was bewegt Jeanne dazu, um das Bahnhofbuffet herumzuschleichen und sich nach einem Cognac zu sehen? Sie nimmt den Zug, der sie ihrem Ziel näher bringen soll, steigt in einem Hotel ab und wieder wird man mit dem Bedürfnis der Frau, unbedingt einen Cognac zu haben, konfrontiert. Selbst Jeanne ist das ein wenig ungeheuerlich ... es scheint Lampenfieber zu sein.

Jeanne ist mit ihrem 21. Geburtstag aus dem elterlichen Haus ausgezogen und ist mit einem Mann in die weite Welt gezogen. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der wohl die Eltern und den Ort sehr verwundert hatte. Sie ist weit herumgekommen: Ägypten, Türkei, Südamerika, Kuba; und erinnert mit diesem »Herumgekommen sein« ein wenig an Der Amateur, der sich auch Jahrzehnte herumtrieb, ehe er wieder in der Heimat eintraf. Jeanne kam genauso erfolglos zurück, wie René de Ritter in dem oben angeführten Roman.

Sie sucht einen ruhigen Platz zum Leben, zum Ausruhen. Ein ruhiger Lebensabend schwebt Jeanne nach diesem aufregenden Leben vor – aber was findet sie vor? Sie macht sich am Morgen nach ihrer Ankunft auf dem Weg zum elterlichen Haus, welches seit dem Tod ihres Vaters von ihrem Bruder bewohnt wurde. Vor vielen Jahren hatte sie die Nachricht vom Notar erhalten, sich aber nicht auf dessen Anzeige hin gemeldet. Das gesamte Erbe fiel ihrem Bruder zu. Nicht, dass sie die Absicht gehabt hätte, das ihr Zustehende jetzt einzufordern – es war damals ihre Entscheidung gewesen.

Von einem ruhigen Platz kann aber nicht im Geringsten die Rede sein: die Tür wird aufgerissen, die Frau von ihrem Bruder Robert – Louise – begrüßt sie, wie man jemanden begrüßt, der nach langer Zeit wie ein Geist auftaucht und ruft ihrem Mann. Der ist nicht zu finden und so stolpert Jeanne sofort in die erste Krise, die dieser Haushalt in den folgenden Tagen »durchmachen« wird.

Robert hatte sich, wie seine Frau fünf Minuten nach der Ankunft seiner Schwester herausfinden durfte, auf den Dachboden zurückgezogen, einen Strick genommen und erhängt. Ein guter Anfang für eine Rückkehr, nicht wahr? Daraufhin bricht Chaos im Haus aus: Louise, ohnehin dem Alkohol sehr zugeneigt, zieht sich zurück und betrinkt sich; die Kinder sind nicht da (wo Madeleine ist, weiß in diesem Haus sowieso nie einer; Henri machte eine Spritztour mit dem Auto); die Schwiegertochter (Frau des kürzlich verstorbenen Sohnes Julien) war keine große Hilfe – kümmerte sich noch nicht einmal um das Baby, oder, um es nicht so hart zu formulieren, hatte ihr Kind nicht ganz im Griff. Alice formulierte es so: Das Kind kann mich nicht leiden.

Statt sich in eine Kammer zurückziehen zu können, ihr Gnadenbrot zu genießen, sieht sich Jeanne, die von nun an Tante Jeanne ist und gerufen wird, in das Management des Hauses berufen und schafft Ordnung. Von allen skeptisch beäugt, schließlich ist sie ein Eindringling, fängt sie an Ordnung in das Chaos zu bringen: kümmert sich um die Angestellten der Firma, organisiert das Begräbnis ihres Bruders und bekocht die Hausbewohner, da das letzte Hausmädchen, wie die zuvor, die Flucht ergriffen hat.

Hätte man die Frau am Bahnhof von Poitiers betrachtet, hätte man gesagt: die ist fertig. 48 Stunden später war sie der Mittelpunkt eines Hauses und brachte nicht nur Ordnung in den Haushalt, sondern auch in das Leben ihrer Bewohner – auch wenn die Situation sehr schwierig war. Es ist, als würde sie zu neuem Leben erwachen. Eine ähnliche Lebenssituation wird von Simenon in Fremd im eigenen Haus beschrieben, in dem der Rechtsanwalt Hector Loursat sich um nichts mehr kümmert, nur vor sich hinlebt und dem Alkohol verfallen ist. Durch ein außerordentliches Ereignis wird er ins Leben zurück geholt. So ähnlich ist es mit Tante Jeanne, die nicht nur alles in ihre Hand nimmt und organisiert, sondern nebenbei auch noch Optimismus versprüht.

In dieser Situation, die man wirklich als übel bezeichnen kann und die, man mag es kaum glauben, sich noch mehr zuspitzt, ist sie ein Fels in der Brandung. An »sich zur Ruhe setzen« ist gar nicht zu denken. Jeanne wird gebraucht.