Über die Story

Anna Peeters empfing ihn am Bahnhof. Ohne große Worte nahm sie ihm den Koffer aus der Hand und schritt voran. Maigret war auf ihren Wunsch nach Givet gekommen, einem kleinen Ort an der französisch-belgischen Grenze. Hier leben Franzosen und Flamen friedlich miteinander. Friedlich?

Nicht ganz. Vor wenigen Tagen war Germaine Piedbœuf verschwunden, was ganz und gar nicht ihre Art ist. Ein Flittchen, das gaben die ansässigen Franzosen zu, das ist sie. Aber das sie einfach so verschwinden würde, ihr Kind zurücklassend – das traute ihr keiner zu (von den Franzosen wohlgemerkt). Genau an dieser Stelle kommen die Peeters ins Spiel. Der Sohn der Peeters – Joseph – war der Vater des Kindes von Germaine. Und er war Flame.

Es kam noch einiges anderes hinzu: die Peeters waren sehr wohlhabend geworden. Ihr Haus stand zum Teil auf der französischen, zum Teil auf der belgischen Seite – was ihnen ermöglichte, den Zoll auf alles mögliche zu umgehen. Die Franzosen profitierten aber nicht so sehr davon, weil die Peeters in ihrem Laden mit angeschlossenem Ausschank nur Genever ausschenkten. Von angetrunkenen Franzosen, die diesen Zustand durch gewissen Rationen an Bier oder Wein erreichten, hielten sie nichts und gaben es auch zu verstehen. Ihre Popularität vor dem Verschwinden von Germaine war also schon in der Gegend von Null.

Maigret war ohne amtliche Befugnisse nach Givet gekommen, auf die Bitte Annas hin. Diese stand eines Tages in seinem Büro, in der Hand hielt sie ein Empfehlungsschreiben eines Vetters seiner Frau aus Nancy, in dem dieser ihn bittet, dass Beste für Anna Peeters zu tun. Anna Peeters trat sehr selbstbewusst auf, sie hielt den Blick nicht gesenkt, schaute Maigret geradewegs in die Augen. So wie sie den Fall schilderte, war Maigret verpflichtet, sich nach Givet zu begeben: das roch zu sehr nach Rassismus, als das man es einfach so beiseite legen konnte (auch wenn Simenon diesen Begriff nicht verwendet).

So irrt Maigret die nächsten Tage durch Givet. Er unterhält sich mit Franzosen, die der Meinung sind, dass die Peeters Germaine auf dem Gewissen haben. Die wenigen Flamen, die er befragt, sind nicht dieser Meinung. Der Inspektor, der den Fall bearbeitet, ein gewisser Machère ist überzeugt, dass er bei den Peeters den Täter finden wird. An erster Stelle steht für ihn Joseph. Er bringt Maigret einen Zeugen bei, der beobachtet hat, wie aus dem Haus der Peeters jemand einen Teppich geschleppt hat und diesen in die Maas geworfen hat.

»Wie viel macht es, Garçon?« fragte Maigret und erhob sich.
Was der Schiffer erzählte, schien ihn völlig kalt zu lassen. Machère verschlug es die Sprache. Und Cassin wusste nicht, was er davon halten sollte.
»Kommen Sie mal mit!«

 

Ein Ortstermin.

»Wo standen Sie?« fragte der Kommissar.
Er kannte das Zollgebäude und sah, wie Cassin sich in eine Ecke drückte.
»Und dort sind Sie stehengeblieben, ohne sich zu rühren?«
»Na klar. Ich wollte mit dieser Geschichte nichts zu tun haben!«
»Lassen Sie mich mal dahin!«
Er stellte sich dort nur einige Sekunden lang hin und sagte dem Mann dann ins Gesicht:
»Da müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen, mein Freund!«
»Etwas anderes – wieso?«
»Weil an Ihrer Geschichte nichts dran ist. Von hier aus können Sie weder den Lebensmittelladen noch die Flussstelle zwischen den beiden Schiffen sehen.«

Nicht nur Cassin macht in dieser Szene einen schlechten Eindruck, Machère – der sich gegen die Anwesenheit des Kommissars vehement gewehrt hatte – hatte die elementarsten Regeln der Ermittlung verletzt. Noch ein Dritter aus der »Die Flamen waren es gewesen«-Front macht im Laufe der Ermittlungen einen schlechten Eindruck auf Maigret: Gérard Piedbœuf. Er geht soweit, Maigret in aller Öffentlichkeit anzugreifen, nur hat er nicht die Konstitution den kräftigen Mann zu Fall zu bringen. Während er am Boden liegt, aller sachlichen und körperbetonten Argumente beraubt, muss er den mitleidigen Blick von Maigret auf sich dulden: eine Demütigung.

Dann kommt der Tag der Gewissheit. Germaine wird in der Maas gefunden: mit eingeschlagenem Schädel.