Über die Story

Der Grund blieb ungenannt, aber eines erfährt der Leser gleich am Anfang. Simenon hat sich 1946 auf dem Weg von Kanada nach Florida gemacht. Davon ausgehend, dass die hier beschriebene Reportage nicht der Sinn der Reise war, kann man feststellen, dass »Durch Amerika mit dem Auto« auch heute noch eine aufschlussreiche Reportage ist. Aus zweierlei Gründen. Liest man andere Reportagen, zum Beispiel Am Rand der Meridiane kann man zu dem Schluss kommen, dass Simenon den Amerikaner mit einer gewissen Skepsis gegenüber steht. Kaum ist er Gast des Landes geworden, so mein Eindruck, lässt er sich von der Atmosphäre einlullen und wird so etwas wie ein Amerikaner. Es ist schon etwas an der Formulierung, dass viele Einwanderer patriotischer sind als die Ureinwohner (was einem bei den Amerikanern schon ein wenig schwer fällt). Ein biographischer Aspekt ist desweiteren interessant: auf dieser Reise ist von einer französischstämmigen Kanadierin die Rede, welche als Sekretärin tätig ist. Das dürfte die künftige Frau Simenon sein. Bei dieser Reise ist die Familie Simenon in zwei Wagen unterwegs: im ersten Auto sitzt Régine und das Kindermädchen. Im zweiten Wagen fährt Simenon mit der Sekretärin. Simenon lässt nicht unerwähnt, dass seine damalige Frau einen flotten Stil liebt und deshalb ihn immer um etwas voraus ist, während er selbst eine gemächlichere Gangart mag. Die Routen der zwei Wagen sind nicht immer deckungsgleich, Simenons Frau, auch Tiggy genannt, macht den einen oder anderen Abstecher. Ebenfalls mit von der Partie ist Simenons Sohn.

Simenon beschreibt in seiner Reportage, die als Fortsetzung in einer französischen Zeitung erschien, das Leben als Tourist in Frankreich. Es hat sich nicht viel geändert, mag man beim Lesen feststellen. So wie Simenon immer wieder Amerikaner traf, die in Paris waren, wird es heute vielen Deutschen gehen, dass sie immer wieder auf Amerikaner treffen, die eine zeitlang in Deutschland gewesen sind. In ein, zwei Generationen sind es vielleicht Afghanen und Iraker, die in Amerika ständig auf Amerikaner treffen, die ihnen erzählen, dass sie eine zeitlang in dem entsprechenden Land gelebt haben. Es ist einfach so.

Als Quasi-Franzose (oha, das hört man Belgien sicher nicht gern), lässt Simenon natürlich nicht die Gelegenheit aus, sich ordentlich über die amerikanische Küche zu mokieren, nicht ohne zu erwähnen, dass es in den frankreichgeprägten Südstaaten ein wenig besser aussieht. Die Küche dort, ließe sich durchaus mit der Küche des Heimatlandes messen.

Großen Raum räumt Simenon den Touristenproblemen ein. So weiß er zu berichten, dass es ein großes Problem ist, sich ein Hotelzimmer zu verschaffen. Einfach in irgendeine Stadt zu fahren, und sich in einem großen Hotel ein Zimmer zu nehmen, war damals so gut wie unmöglich (nun lasse man an seinem inneren Auge, einmal die Amerika-Romane Simenons an sich vorbeiziehen und man wird feststellen, in der Tat, macht es kein einziger Held, dass er einfach in eine große Stadt geht und sich dort ein Zimmer nimmt (keine Regel ohne Ausnahme: Drei Zimmer in Manhattan, wo es in New York durchaus Zimmer zu geben scheint – das Zimmer war aber auch mittelmäßig). In den Romanen, die im Rest der Welt spielen, war das nie ein Problem). Simenon ist dem Phänomen, dem er selbst zum Opfer wurde, nachgegangen, und weiß zu berichten, dass es an den ganzen Klubs in Amerika liegt, die gerne Treffen veranstalten und dabei ganze Hotels ausbuchen. Simenon musste mit seiner Familie auf Privatquartiere ausweichen, was ihm auf Dauer aber sehr unangenehm war, da er nicht gern in fremder Leuten Betten schlief.

Auf der Reise durch Amerika begegnet ihm allerdings merkwürdiges: eine komische Wüste in Maine, herumziehende Häuser, stinkende U-Bahnhöfe (kannte er das nicht aus Paris? Mir sind die heutzutage da untergekommen und obwohl diese kameraüberwacht sind, kann dieses nicht den menschlichen Drang im Zaume halten. Ja, ich gebe es zu, es sind die Männer. Eine Frau wird man wohl nicht im U-Bahnhof-Gang sich hinhocken sehen.), ein großartiges Aquarium und eine Reihe von Unterkünften, die Simenon und seiner Begleitung durchweg den Atem verschlagen. Der Leser wird mit den Berufswünschen Simenons Sohnes genauso bekannt, wie mit den Sorgen, eine zuverlässige Haushaltskraft in Amerika zu finden (nicht nur, dass sie ordentliches Geld kosten, Simenon ist sogar der Meinung, er müsste sich selbst die Schuhe putzen, um seine Haushaltshilfe wohlgesinnt zu stimmen). Der Leser weiß im Anschluss sowohl über die Nord- wie über die Südstaaten Bescheid.

Aus heutiger Sicht ist an der Reportage interessant, dass sie zeigt, dass sich vieles geändert hat. Amerika ist irgendwie schon europäischer geworden. Bestimmte Punkte habe sich geändert, scheinen jetzt in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein, wie es hierzulande schon seit langer Zeit ist. Bei anderen Punkten hat sich nichts getan: Amerikaner kennen Unmengen von Süßigkeiten, viele schmecken aber gleich. Der Einheitsgeschmack ist geblieben. Nach dem Motto, dass man später immer klüger ist, ist es natürlich so, dass einiges was Simenon geschrieben hat, aus heutiger Sicht nicht mehr unterschreibbar ist.