Über die Story

Vollbracht! Nun habe ich auch den letzten Roman gelesen, der hierzulande von Simenon in deutscher Sprache erschienen ist. Der Roman lag mir wirklich schwer im Magen. Mindestens vier Versuche habe ich benötigt, bis ich ihn komplett gelesen hatte. Mit schwerer Kost konfrontiert uns Simenon nämlich gleich am Anfang des Romans: Germaine Lecoin lag im Krankenhaus, stand kurz vor einer schwierigen Operation. Sie »verhörte« ihren Mann zu Alltäglichkeiten, immer auf der Wacht, ob sich ihr Mann nicht eventuell in irgendwelche Widersprüche verwickelte. Der hatte auch allen Grund auf der Hut zu sein, denn schon seit geraumer Zeit hielt François Lecoin seine Frau mit Lügengeschichten bei Laune. Der Name eines Stuhlflechters diente ihm als Arbeitgeber, denn seinen Job hatte Lecoin schon vor längerer Zeit verloren. Nun hielt er seine Frau mit Geschichten über einen Urlaub seines Arbeitgebers an der Côte d’Azur bei Laune, uns musste schwer aufpassen, dass er sich nicht mit seinen Geschichten verhaspelte. Klar, denn dafür musste man den Überblick über seine Geschichten haben und, nun ja, man sollte nicht angetrunken sein. Genau an der Stelle haperte es schon, denn vor einem Krankenbesuch bei seiner Frau musste sich Lecoin Mut antrinken.

Sorgen hatte er damit schon genug. Die Frau im Krankenhaus, keine Arbeit und dann noch der Sohn, Bob, der versorgt werden musste. Bei den Kaufleuten in der Umgebung hatte er überall anschreiben lassen. Es war kein Geld im Haus, und es sah auch nicht so aus, als ob Geld in die Kasse käme.

Lecoin hatte noch zwei Brüder: Raoul tauchte plötzlich bei ihm auf. Nach vielen Jahren, die er sich in der Welt herumgetrieben hatte, stand Raoul plötzlich vor seinem sorgengeplagten Bruder. Nicht, dass es Raoul viel besser ergangen wäre: Er hatte die Welt gesehen, hatte zwei Frauen, von denen er nicht wusste, wie es ihnen ging und was die Kinder machten, und zu allem Überfluss war er noch dem Alkohol verfallen. Keine moralische Stütze für François. Wenigstens Marcel hatte, der andere Bruder, hatte es besser angetroffen. Der hatte reich geheiratet, dann Karriere gemacht und versuchte, seine Familie, sprich die Brüder, zu vergessen. Marcel war Rechtsanwalt und Stadtrat in Paris.

Dass Germaine die Operation nur kurze Zeit überlebt, berührt François emotional wenig. In ihrer Beziehung war wenig oder keine Liebe gewesen. Der Tod ist für ihn einerseits eine Entlastung, kurzzeitig natürlich auch eine Belastung. Denn er benötigte dringend Geld für die Beerdigung seiner Frau und so wie die Dinge nach dem Tod seiner Frau standen, hatte er keines.

An dieser Stelle pflegte ich das Buch beiseite zu legen. Denn schließlich war das Ende absehbar. Ein paar Tage würde sich der Mann noch dahinschleppen, mehr dahinvegetieren als denn leben. Im Originaltitel wurde von Simenon sogar die genaue Zahl der Tage angegeben: vier. Solch entmutigende Geschichte vor Augen kapitulierte ich. Allerdings bin ich ziemlich überrascht worden, denn das Buch besteht aus zwei Teilen. Gegen des Ende des ersten Teiles bekommt François Lecoin die Kurve, eine allerdings, die ihn nicht sehr sympathisch macht. Er sucht seine Schwägerin auf und erzählt ihr, er sei von dem Wettbewerber ihres Mannes kontaktiert worden, um bei dessen Wahlkampfzeitschrift mitzuarbeiten und vielleicht das eine oder andere schmutzige Detail über seinen Bruder zu veröffentlichen. Man könne, so der Vorschlag Lecoins, das ganze natürlich auch anders aufziehen. Wie wäre es denn, wenn man eine Zeitschrift gründen würde, die den Wahlkampfgegner Gianini unter die Lupe nehmen würde. Seine Schwägerin Renée ist Feuer und Flamme, obwohl ihr Mann schon eine solche Zeitung betrieb. Ob die Zeitung nun wirklich half, lässt sich schwer sagen, aber immerhin hatte François einiges über den Mann herausgefunden und so sicher auch sein Scherflein beigetragen, dass sein Bruder die Wahl gewann.

Danach war bald Schluss und Lecoin gründete eine eigene Zeitung, die den Namen Le Cravache trug. Die Zeitung verfolgte ein Prinzip, dass Simenon in seinen Romanen mehrmals schilderte: Geschichten über Personen zu veröffentlichen, die man mit diesen Geschichten erpresste. Entweder die Betroffenen zahlten oder in der nächsten Ausgabe würde der Artikel stehen, so das Prinzip. Der Name der Zeitung heißt übersetzt Die Reitpeitsche, ein sehr treffender Name, wenn man bedenkt, wie sich die Betroffenen gefühlt hatten, wenn sie mit der Erpressung konfrontiert wurden.

Aber solche Geschichten gehen nicht lange gut. Irgendwann trifft man auf eine Person, die nicht bereit ist zu zahlen und die am längeren Hebel sitzt. Offenbar waren die Macher der Zeitung auf eine solche Person gestoßen und nun taten sich merkwürdige Dinge auf. Lecoin wurde beschattet, Angestellte des Hauses, in dem er mit seiner Zeitung residierte, gaben sich einsilbig, das Büro der Zeitung wurde durchsucht. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Spätestens an der Stelle wird klar, worauf sich das arm bezieht. Der Leser wird am Anfang mit einem materiell armen Menschen konfrontiert. Die Situation ändert sich aber, denn durch das Engagement Lecoins landete er in gewissen Wohlstand (konnte die Wohnung renovieren, leistete sich eine Geliebte und ein schmuckes Auto). So bleibt das Attribut für eine Charaktereigenschaft und wenn man Lecoin als armseligen Charakter bezeichnet, trifft man es sehr gut. Viel anders mochte es der François Lecoin auch nicht sehen – aber letztlich betrieb er Erpressung in öffentlichem Stil. Das dürfte auch den Lesern dieses Skandalblättchens klar gewesen sein. So sei zusammengefasst, dass der Titel der deutschen Übersetzung schlicht irreführend ist.