Über die Story

Es fällt nicht leicht, den Überblick zu behalten, welchen Vater wer in der Familie des Louis Cuchas hatte. Louis war der Zweitjüngste. Da war zum einen Wladimir (sein Spitzname, denn es wurde gemunkelt, sein Vater sein ein russischer Anarchist), der sich unbändig gab. Sein ganzes Wesen war darauf aus, andere zu unterwerfen, was ihm auch mit Leichtigkeit gelang.

Von neuem vernahm er die gedämpfte, aber deutliche Stimme Wladimirs, der befahl: »Mach es mir!«
»Wirst du’s nachher mir machen?«
Wladimir hatte sich hingelegt und das Hemd über den Bauch hinaufgezogen.
»Aber pass auf deine Zähne auf!«

Alice war es, die dort so folgsam die Befehle annahm. Die größere Schwester von Louis hatte einen anderen Vater als Wladimir und gab sich gegenüber Louis wie eine Ersatzmutter. Sie vertraute sich hin und wieder Louis an, er war zwar der Jüngste in der Runde, mit dem man was anfangen konnte, aber sein ganzes Wesen war schweig- und genügsam. Kein Verdacht, dass er sein Wissen bei irgendeiner Gelegenheit benutzen würde, wie Alice es Wladimir durchaus zutraute (nicht zu unrecht). Dann gab es da noch die beiden Zwillinge - von allen nur die »Rotschöpfe« genannt - zu Hause lieb und folgsam, waren sie außer Haus wild und unzähmbar. Olivier und Guy fielen dadurch auf, dass sie keinen großen Wert auf die Schule legten, wenn sie auch zu Hause so taten, sie würden sich eifrig mit Hausaufgaben beschäftigen.

Die Jüngste in der Familie war Emilie. Ein Nachzügler, wenn man so will. Sie, dass kann man wohl verraten, stirbt in jungen Jahren während einer Epidemie.

Die Mutter hieß Gabrielle und war Gemüseverkäuferin. Sie zog in der Früh los und kaufte in den Hallen Obst und Gemüse, welches sie über den Tag von ihrem Karren verkaufte. In der Rue Mouffetard ging es ihnen damit besser, als manchem anderen, der nur auf Almosen angewiesen war. Gabrielle Heurteau war einmal verheiratet gewesen, ihr Mann kam ihr allerdings abhanden. Bedauert hat sie das nie. Die Kinder waren es gewohnt, dass immer neue Männer in ihrer Wohnung auftauchten. Die einen blieben eine Nacht, andere für länger.

Louis kam irgendwann in die Schule und dort bekam er seinen Spitznamen weg: »der kleine Heilige«. Er, der damit beschäftigt war, die Welt zu beobachten, war für die Schule nicht geschaffen. Seine Träumereien wurden dort nicht geduldet. Louis war auch niemand, der Freunde suchte, so dass er, wenn er geärgert wurde, keinen Beistand zu erwarten hatte. Seine Brüder waren anderweitig beschäftigt, als sich mit dem kleinen Nachkömmling zu beschäftigen. Als es zu einer Schlägerei kommt, weil Louis seine Murmeln nicht hergeben will, versucht der Übeltäter den Lehrer zu überzeugen, dass nicht er damit angefangen hat: eine ungewollt komische Situation, denn dass kann sich nicht nur der Lehrer überhaupt gar nicht vorstellen. Louis gibt, zum Erstaunen aller, trotzdem seine Murmeln her. Von dem Tag an hat seinen Spitznamen weg.

Obwohl er keine große Lust auf Schule hat, beschließt er die meisten Jahre als Klassenbester. Das ist natürlich auch nicht unbedingt ein Punkt, der einen in der Klasse beliebt gemacht hat. Louis will nur seine Ruhe haben, will beobachten, was in der Welt vor sich geht: beobachtet die Leute von Gegenüber (wie der Schuhverkäufer seine Frau verliert, später eine Verkäuferin anstellt und diese dann heiratet), seine Geschwister, zum Beispiel Wladimir, der Sachen mit nach Hause bringt, die er gar nicht bezahlen kann und den er später dabei erwischt, wie er andere dazu anstiftet, zu stehlen, und - das Größte überhaupt - seine Mutter, wie sie ihren Geschäftstag in den Hallen vorbereitet.

Im Mittelpunkt dieses Romans steht Louis. Dieser wird aber geprägt durch das Leben seiner Mutter (manchmal sogar ihrer Freunde) und durch seine Geschwister. Auf etwa 140 Seiten ziehen schnell zwanzig Jahre Geschichte vorbei, Veränderungen in der Gesellschaft und Krieg. Im zweiten Teil erzählt Simenon, wie es Louis, der sich irgendwann von den Hallen lösen kann, in der Welt der Künstler ergeht.