Über die Story

Landläufig wird gesagt, dass auf jeden Topf ein Deckel passt, heißt, irgendwo rennt für jeden Menschen ein passender Partner herum. Man muss ihn nur finden. Das es leichter ist, für einen Topf einen passenden Deckel zu finden, die Erkenntnis reift nach und nach bei vielen, die diesen Spruch allzu gern verwenden. Denn ganz so einfach ist es nicht. Wenn Topf und Deckel dann trotzdem passen, wundern sich Außenstehende, wie das wohl angehen kann, Als Beispiel könnte da das Ehepaar Jeanne und Émile Virieu dienen. Seit achtzehn Jahren verheiratet, fragte sich jeder, wie sich das Paar gefunden hat. Wahrscheinlich hatten die Eltern von Èmile die Hoffnung, dass sich der Sohn noch einmal binden würde, aufgegeben, als er sie dann doch noch überraschte. Jeanne war schon einmal verheiratet gewesen und für die Witwe war es auch ein einmaliges Erlebnis, mit einem Mann zusammenzuziehen, der keinerlei Erfahrungen mit Frauen hatte. Bisher hatte Émile immer allein gelebt, hatte nichts und so wurde die erste gemeinsame Wohnung mit den Möbeln aus der ersten Beziehung Jeannes eingerichtet.

Émile war so schlicht, dass es ihm nichts ausmachte. Man fragt sich, wofür der Mann eigentlich lebte. Er ging morgens zu seiner Arbeit in eine Druckerei, in der er schon seit Ewigkeiten als Korrektor angestellt war. Dort konnte er als Urgestein gelten, denn er war über achtzehn Jahre dort beschäftigt (die Druckerei war auch der Ort, wo er seine Frau kennen lernte, die dort als Sekretärin angestellt war). Tag für Tag saß er in seiner Ecke und korrigierte die Texte der Kollegen. Er war zufrieden.

Will man das Leben von Jeanne und Émile beschreiben, so würde das Wort »Ruhe« treffend sein. Sie leben mit einer Routine, die nichts aus dem Lot bringen kann. Jeanne beginnt morgens Romane zu übersetzen (sie arbeitet als Übersetzerin, scharfsinniger Schluss, nicht wahr?), und Émile macht sich auf den Weg zum Korrektorat. Sie glauben nicht an Überraschungen und so erstaunter sind sie, als mit einem Tag plötzlich alles umgekehrt wird und sie nicht den geringsten Einfluss darauf haben.

Émile pflegt keinen Kontakt zu seiner Schwester. Das mag daran liegen, dass er zum einen seine Ruhe haben will, andererseits heißt er den Lebensstil seiner Schwester und deren Familie nicht gut. Deren sauber aufgebautes Leben fällt wir ein Kartenhaus zusammen, als sich der Schwager Émiles in eine jüngere Kollegin verliebt und deren Liebhaber zu werden. Der Schwager denkt an die große Liebe, die junge Frau an Vergnügen. Derart aneinandervorbeiredend, kommt es bald zum großen Knall – und dieses nicht nur übertragend formuliert – bei dem sie ihm klar macht, dass sie unterschiedliche Vorstellungen von der Beziehung haben, und er ihr klar macht, dass er nicht ohne sie leben möchte. Das Ende vom Lied: er bringt sich im Treppenhaus seiner Geliebten um und seine Frau steht vor einem Scherbenhaufen (welches aber nicht der Scherbenhaufen des Glaskäfigs ist).

In dem Glaskäfig hatte sich der Korrektor verkrochen und beobachtete das Leben da draußen. lebte mit einer Frau zusammen, die fremde Literatur übersetzte und von der Liebe hatte er nicht den blassesten Schimmer. Wie sollte er verstehen, warum sich ein Mann für eine Frau, die ihn nicht liebte und nichts mehr von ihm wissen wollte, interessiert? Das konnte er nicht.

Seine Schwester musste mit der neuen Situation zurechtkommen und kommt dabei auf ihren Bruder zurück. Die Kinder machen Probleme und nun soll Émile nicht den Onkel geben, den man alle Jubeljahre mal sah, sondern den gestrengen Erzieher. Diese Rolle ist dem stillen, ruhigen Mann nicht auf den Leib geschnitten.

Wenn erst einmal Unruhe hereingebrochen ist, dann steigert sich diese unaufhörlich. Das ist natürlich im Falle von Émile nicht anders: Die Wohnung neben den Virieus wird neu bezogen und die neue Nachbarin fasziniert Émile. Sie ist ganz anders als seine Frau und reizt ihn ungewöhnlich. Es scheint, als würde der Mann langsam aus seinem Glaskäfig herauskriechen und Luft schnuppern. Erst zum Ersatzvater ernannt, hat er das Gefühl, dass auch die Nachbarin sich für ihn interessiert. Das Leben beginnt.

Nein, so ein Leben möchte ich nicht führen und ich werde mich mit Händen und Füßen dagegen wären. Es soll was los sein. Was nützt es mir, in einem Käfig zu sitzen und zu beobachten, was »draußen« los ist? Dabei sein ist alles. Nichtsdestotrotz ist der Roman packend geschrieben. Ich habe ihn am Tag vor unserer Urlaubsreise gelesen – was immer da noch zu packen war, mich hatte es gepackt.