Über die Story

Der Titel des Buches und das Cover haben mich immer angesprochen. Was ich erwartet habe, weiß ich nicht. Meine Erwartungen wurden auf jeden Fall schon vorher zerstört. Eines schönes Tages hielt ich ein Buch in den Händen, das den Titel »Die Hexe« trug und von Simenon sein sollte. Unwissend, was sich hinter diesem Titel verbarg, fragte ich einen Bekannten – nach kurzer eingehender Prüfung von Anfang und Ende des Buches, stellt er fest, dass es wohl »Das Haus am Kanal« wäre. Aha! Wenn man ein Buch »Die Hexe« nennen kann, dann verbirgt sich auf keinen Fall etwas Wasserbezogenes dahinter. Um hinter den wahren Sachverhalt zu kommen, muss man das Buch gelesen haben. So wurde es flugs auf die Nummer eins der Leseliste gesetzt.

Sehr schnell stellte sich heraus, dass in dem Buch nicht eine Beschreibung des beschaulichen Lebens an einem Kanal zu finden sein würde. (War über einen längeren Zeitpunkt meine Vorstellung gewesen, wenn ich den Titel des Buches las.) Es stellte sich sogar schnell auf den ersten Seiten das Gefühl ein, dass ich auch auf beim Lesen von »Die letzten Tage eines armen Mannes« hatte. Eine gewisse Abscheu gegenüber der Geschichte.

Die Geschichte spielt zum größten Teil in der Nähe von Neroteren. An einem herbstlichen Tag kommt Edmée in dem Ort an und wird von ihrem Cousin zum Gut des Onkels »verfrachtet«. Das sechzehnjährige Mädchen hat gerade ihren Vater verloren, der Arzt in Brüssel gewesen war. Man kann sich vorstellen, dass zu diesem familiären Schock sich noch ein kultureller einstellte, als sie in die Provinz ziehen muss. Hinzu kommt, dass sie die Sprache ihrer Angehörigen nicht versteht – französisch sprechen nur die wenigsten. Die Verständigungsprobleme sorgen von Anfang an dafür, dass man sich fremd bleibt.

Da ein Unglück nicht allein kommt, wie Edmée schnell herausfindet, wird sie mit der Nachricht überrascht, dass ihr Onkel auch gerade gestorben ist. Auf dem Gut herrscht deshalb eine gewisse Unruhe. Was wird passieren?

Das bekommt man ziemlich schnell heraus, denn der Vater hat das Gut an den ältesten Sohn, Fred, vererbt, der dafür verpflichtet wird, sich um seine Geschwister (ganz unverbindlich: eine ganze Reihe von Kindern schwirrte auf dem Gehöft herum) zu sorgen.

Die Familie bewirtschaftet ein sehr großes Gebiet: sie erzeugen Heu, welches an die Bauern in der Umgebung geliefert wird und sie hat einige Kontrakte in entferntere Gegenden. Das Land wird durchzogen von Kanälen, die von Schiffern genutzt werden. Jef, der zweitälteste Sohn des verstorbenen Onkel, kümmert sich um die Kanäle. Wie es gebraucht wird, lässt er Wasser ab, um die Kanäle zu pflegen oder bestimmte Felder besser mit Wasser zu versorgen. Er ist derjenige, der die Hauptlast der Arbeit trägt. Der junge Mann hatte die Brüsslerin vom Bahnhof abgeholt und sie in die Gegebenheiten in der Familie eingewiesen. Für Edmée war er der Ansprechpartner, allerdings auch derjenige, den sie als erstes mit ihren Forderungen in Beschlag nahm. Die beiden gehen zusammen »auf die Jagd« – dabei verliert ein Eichhörnchen sein Leben. Ein merkwürdiges, erregendes Gefühl überkommt Edmée dabei, als es zusieht, wie das Eichhörnchen stirbt. Man hat das Gefühl, als ob es ein Hochgefühl wäre. Ihr Ziel ist es jetzt, ein Eichhörnchen-Fell-Mantel zu bekommen. Jeder hat eine Vorstellung, wie viele Eichhörnchen für so einen Mantel ihr Leben zu verlieren hätten. Das nächste Ziel sind Schmucksteine aus der Kirche: sie fordert von Jef, dass er ihr welche aus dem Gotteshaus stiehlt.

Schon an der Stelle überkommt einen das untrügerische Gefühl, dass die Geschichte nicht nach einem Happy-End riecht. Trotzdem wird man gefangen genommen, muss man doch wissen wie es weitergeht. Was macht Edmée, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird? Wie wird sie sich entwickeln? Denn, seien wir ehrlich, gerade bei solchen Geschichten erwartet man an jeder Ecke eine Wendung; man hofft, das Simenon die übliche Zuspitzung der Situation – in diesem Fall: es wird nicht noch verwerflicher – einmal links liegen lässt.

Aber nichts da! Fred, der Älteste, wird aufmerksam auf Edmée – eine Wende in der Geschichte. Das Mädchen ist sich seiner Macht auf die Männer bewusst und nutzt dieses aus. Unterwerfung und Anpassung ist nicht ihr Ziel, sie möchte dominieren. In dem traditionell geprägten bäuerlichen Leben bringt das Probleme mit sich und kann zu Zerstörungen führen.