Über die Story

Maigret hatte sein Jacket ausgezogen, und bemerkte die Blicke, die ihm sein Kollege zuwarf. Ein Schmunzeln um die Mundwinkel war zu entdecken, denn der Kommissar hatte an Maigret seidene Hosenträger entdeckt. Bei der Hitze war es aber egal, was sein Kollege davon hielt. Atemlos verfolgte Maigret das Geschehen auf der Tafel vor ihm. Aber bisher waren nur Fälle aufgetaucht, die zum Alltag der Polizei gehörten, wie beispielsweise Bercys (Betrunkene) und Selbstmörder. Ein klitzekleiner Hinweis hatte den Kommissar vor die Tafel getrieben und die Polizei in Aufregung versetzt. Ein Unbekannter, mit dem Namen Picpus hatte für den Tag angekündigt, eine Wahrsagerin umzubringen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte Maigret die gesamte Polizei mobilisiert und vor allen bekannten Wahrsagerinnen stand so unauffällig wie möglich ein Polizist. Sollte sich dieser Hinweis als Späßchen herausstellen, könnte sich die Aktion als größte Blamage für Maigret herausstellen. Allerdings weiß auch Maigret, dass er nur verlieren kann. Würde er dem nicht nachgehen, würde ihn die Presse an Kreuz nageln; würde es ein Späßchen sein, könnte man sich über den großen Mann lustig machen.

»Hallo! ... Kommissar Maigret? ... Einen Augenblick!«
Maigrets Herz machte einen Sprung, als er zum Hörer griff.
»Hallo! ... Ja ... Die Wache in der Rue Damrémont? ... Was sagen Sie? ... Rue Caulaincourt 67a? ... Mademoiselle Jeanne? ... Eine Wahrsagerin?«
Seine Stimme fand zu ihrem schmetternden Klang zurück. Sein Gesicht belebte sich.
»Los, Kinder! Nimm ihn mit Lucas! Sicher ist sicher.«

17 Uhr und 8 Minuten – es war soweit. Man hatte eine Tote gefunden, die auch Wahrsagerin war. Warum sie nicht beschützt worden ist, klärt sich rasch. Bei der Frau handelte es sich um eine unregistrierte Wahrsagerin. Da konnte man nur von Pech reden. Für Maigret begann die Arbeit und die komplette Mannschaft zog in Richtung Rue Caulaincourt.

Mit im Schlepptau befand sich der Steuergehilfe Mascouvin, ein farbloser Mann, der den Hinweis für den Mord gefunden hatte. Noch am Vortag saß er, wie er berichtete, ruhig in einem Bistro. Auf einer Schreibunterlage fand er den Abdruck eines Textes, der die Ankündigung des Mordes enthielt. Mit diesem vagen Verdacht kam er zu Maigret, der diesem Hinweis merkwürdigerweise Glauben schenkte und, wie sich herausstellte, gut daran tat. Mascouvin blieb während der Vorermittlungen bei dem Kommissar, und schied damit als Verdächtiger aus.

Das nicht überwachte Haus wurde zur Spielwiese der Experten: Mademoiselle Jeanne wurde erstochen. Eine Bekannte hatte die Wahrsagerin, die die Gefahr nicht kommen sah, gefunden, als sie ihr Fische vorbeibringen wollte. Das war unmittelbar nach dem Mord. Sie dachte, die Wahrsagerin wäre am Tisch eingeschlafen, und war schon einigermaßen überrascht, als sie die Frau ermordet auffand. Sie ist aber nicht die Einzige, die am diesem Tag überrascht sein sollte. Bei der Überprüfung der Wohnung fand sich ein Zimmer, welches abgeschlossen war und für welches sich auch kein Schlüssel fand. Nachdem ein Schlosser die Tür geöffnet hat, findet sich dort ein alter Mann, der ganz ruhig die Männer erwartet. Die Überraschung Maigrets lässt sich vorstellen, denn auch in dem Raum - der Küche - gab es keinen Schlüssel.

Von dem Alten bekommt Maigret nur stereotype Antworten, die besagen, dass er die Wahrsagerin nicht umgebracht habe und auch nicht wisse, wer es gewesen sei. Der Alte ist die Ruhe selbst, lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Maigret bricht die weitere Arbeit vor Ort ab und die Leute kehren an ihre bekannten Plätze heim. Maigret mit dem Alten nach Hause. Der Mann wirkt gestresst und bricht in Schweiß aus, als sie sich der Wohnung des Alten nähern. Dort lernt Maigret seine Frau unter Tochter kennen, und versteht den Stress, den der Mann mit der Heimkehr hatte. Umwerfend ist allein die Beschreibung der Situation, welche die »gute« Frau gegenüber der Tochter abgibt, die später hinzukommt:

»Stell dir vor«, erklärte die Mutter, »dein Vater ist heute Nachmittag zu einer Kartenlegerin gegangen, und ausgerechnet da ist es zu einem Skandal gekommen.«

Des Alten Schlaf- und Arbeitszimmer ist sehr klein und hat – praktischerweise – einen Riegel. Nur ist der außen befestigt. Der Erklärungen der Ehefrau scheinen dem Kommissar nicht plausibel, schließlich war ihr Mann Arzt und angesehen. So könnte man auf die Idee kommen, der Alte wird gefangen gehalten.

Überhaupt macht die Frau einen sehr ungünstigen Eindruck auf Maigret. Er beschließt, dass es eine gute Idee wäre, wenn man sowohl den Mann wie auch die anderen beiden Haushaltsmitglieder obervieren ließe. Die Polizisten, die ihn observieren, berichten, dass der alte Mann auch bei schönen Wetter sich mit einem uralten Parker gekleidet wäre und Zigarettenstummel von der Straße auflesen würde. Ein sehr befremdliches Verhalten. Die Frauen dagegen lassen sich nicht bei verdächtigen Aktivitäten erwischen.

Die Geschichte bekommt einen neuen Drall, als Mascouvin, der den Mord(s)hinweis entdeckt hatte, beschließt, sich umzubringen. Er hatte kurz zuvor Maigret gebeichtet, dass er aus der Firmenkasse 1000 Francs gestohlen hätte. Das begründete der Mann mit Spielschulden, die er bei einer Comtesse hatte, bei der allabendlich Bridge spielen würde. Als sich Lucas, der in dem Roman übrigens eindeutig als klein und rundlich beschrieben wird, mit ihm auf dem Weg zu dieser Spiel-Adligen unterwegs ist, und gerade einen Moment unachtsam ist, springt Mascouvin von einer Seine-Brücke, prallt an einen Pfeiler und schlägt dann auf der Wasseroberfläche auf. Schnell wird der Unglückspilz aus dem Wasser gefischt und schwerverletzt kommt er in das Hotel-Dieu, in dem er von den besten Ärzten behandelt wird.

Nun macht sich Maigret daran, einmal das Umfeld des Mannes zu prüfen. Mit einer Aussage, was ihn zu dem Sprung veranlasst hat, wird man warten müssen, so muss Maigret allein herausbekommen, was sich so abspielt. Der Arbeitgeber von Mascouvin weist die Behauptung zurück, irgendjemand hätte die Gelegenheit, 1000 Franc zu stehlen. Eine einfache Begründung: Man wäre mit Immobiliengeschäften beschäftigt und da würde nicht mit Bargeld hantiert werden; es gäbe schlicht keine Gelegenheit, sich unerlaubt zu bereichern. Andererseits war der Lebensstil des Mannes nicht ganz ohne. (Übrigens ließ Simenon, wieder ein kleiner Streich, den Angestellten am Place des Vosges wohnen, in dem auch Maigret und auch er selbst wohnten.)

Maigret beschließt, mit seiner Frau einen Ausflug zu machen: Die Wahrsagerin hatte die Angewohnheit, am Wochenende aufs Land zu fahren. Sie kam dabei in der Pension der Bekannten unter, die die Leiche der Wahrsagerin gefunden hatte. In früher Morgenstunde, Maigret kann nicht schlafen, macht der Kommissar erstaunliche Beobachtungen. Die morgendliche Idylle löst einige Rätsel, allerdings erst, nachdem sie Maigret ausführlich und lange durchdacht hat.