Über die Story

So mancher würde die Stirn kraus ziehen, wenn er von dem Leben des Maurice Dudon hören würde. Der Mann hatte (und wollte) keine Bekannten, lebte, wenn er seine täglichen Aufgaben als Buchhalter erledigt hatte, ganz allein – keiner hatte jemals seine Wohnung betreten, die er schon seit vielen Jahren bewohnte. Dudon wurde gut bezahlt, so dass sich sein Chef – Félicien Mallard – sicher fragte, warum sein Angestellter in einer solchen Gegen wohnte. Die Frage darauf lautet Gleichgültigkeit – Dudon war war alles gleichgültig, es hat den Anschein, dass das auch für sein eigenes Leben galt.

In der Firma wurde er geachtet. Als Buchhalter vom Chef, der sein Vermögen mit Gänseleberpastete machte, war er über die Situation der Firma, die im Übrigen bestens war, sehr gut informiert. So war zwar Achtung von Seiten der Kollegen da, aber sie mochten ihn nicht. Zwischen den Worten, den wenigen, die er mit seinen Kollegen austauschte, kann man ein wenig Abscheu spüren. Gegenseitigkeit, kann man da nur sagen, es war ja auch Dudon, der sehr menschenscheu war.

Jeder Mensch hat so seine Laster und wenn man das Buch liest, fragt man sich, was für ein Laster den Dudon frönen könnte. Ziemlich schnell wird klar, dass der Mann überhaupt gar keine Vorliebe für Alkohol hat – er trinkt nicht einen Tropfen. Auch Tabak fällt als Suchtkomponente aus. Man wundert sich, aber Maurice Dudon war den Frauen verfallen. Er hatte die Angwohnheit, sich jeden Freitag mit Geld aus der Kasse seines Arbeitgebers zu versorgen und dann zu einem Haus zu schlendern, in dem Mädchen »feil geboten« wurden. Das merkwürdige ist, dass Dudon so ein gutes Auskommen hatte – auch wenn man es seiner Erscheinung nicht ansah –, dass er es gar nicht nötig hatte, Geld aus der Kasse zu nehmen. Als Buchhalter hatte er eine gewisse Macht und er sorgte dafür, dass die Ausgaben immer seinem Chef zugeschrieben wurden, der sich auf seinen alten Buchhalter verließ.

Dudon rechnete immer mit einer Katastrophe. Die bestand in seinen Augen darin, dass eines Tages entdeckt würde, dass er Mallard regelmäßig hintergangen hat. Es kam allerdings alles ganz anders. An einem Freitag wird er auf dem Heimweg von seinem stillen Vergnügen beim Überqueren der Straße von einem Auto angefahren. Der Buchhalter ist der Meinung, dass der Fahrer nicht aufgepasst hatte – der Fahrer war eine politisch gewichtige Person, dass es am Anfang so aussieht, als könnte er sich mit seiner Meinung, der Mann wäre einfach auf die Straße gesprungen durchsetzen. Aber weit gefehlt.

Statt aus der Bewusstlosigkeit in einem städtischen Krankenhaus aufzuwachen, darf Dudon feststellen, dass er in einer vornehmen Klinik sein Erwachen feiert, betreut durch eine eigene Krankenschwester. Der »Unfallgegner«, wie es immer so schön heißt, hat ihm diesen Aufenthalt spendiert. Die Krankenschwester teilt ihm auch mit, dass sich bald eine Menge Leute um ihn scharren werden, um zu klären, was passiert ist. Dudon hat nur ein mäßiges Interesse, den Sachverhalt bis in das letzte Detail aufzuklären. Die Leute sollten sich noch über seine Gleichgültigkeit wundern.

Man kann die Menschen nicht ändern – ist das der Tenor des Romans von Simenon? Dieser Unfall verändert das Leben Dudons in vielerlei Hinsicht – Frauen, die er nicht kaufen muss, treten in sein Leben; sein Chef zeigt ihm, dass er gebraucht wird und sein Unfallgegner macht deutlich, dass er in Dudons Schuld steht. Der Buchhalter wirft das Drumherum einen sehr distanzierten, ironischen Blick – häufig hat man das Gefühl, er steht außen vor, beobachtet nur. Vielleicht ist das eine normale Reaktion, wenn das eigene Leben, zum großen Teil ohne eigenes Zutun, umgekrempelt wird.

Nun ist die Frage, in wie weit sich ein Mensch ändern kann, dass er in der neuen Umgebung, in die er hineinwächst, auch »passt« oder vielleicht die Umgebung an sich anpasst (was eine Frage der eigenen Willensstärke ist). Findet Dudon das Glück?

Der Titel des Buches ist ein wenig unglücklich – als Leser fragt man sich die ganze Zeit, was es wohl für ein Rückfall sein könnte, dem Dudon erliegt. Für mich trifft es der Originaltitel (mit meinen laienhaften Übersetzungskünsten) viel mehr: »Ein neues Leben« klingt auch viel optimistischer, als ein schon im Titel angekündigter Rückfall. Aber das ist, wie alles, Geschmackssache.