Über die Story

Bevor jetzt anfing zu schreiben, habe ich mich gefragt, warum denn da schon das Zitat vom Anfang des Buches stehen konnte, wo ich doch fest der Meinung gewesen war, das Buch gerade deshalb gekauft zu haben, weil ich es noch nicht hatte. Aber wenn jetzt hier schon das Zitat stand, war es wohl eindeutig, das Buch musste ich doppelt haben. Aber bei der Masse von Simenons, die es gibt, kann es leicht passieren, dass man den einen oder anderen Band doppelt kauft – schön für die Verkäufer, schlecht für das Bücherregal. Ganz ehrlich: bei diesem Buch tut es mir aber wirklich nicht leid, es doppelt zu haben. Da verhält es sich wie mit »Die Glocken von Bicêtre«, es gut, wenn man ein Backup, falls ein Band verloren geht, kann man sich immer noch sicher sein, dass man nicht ohne da steht.

Die Geschichte von Simenon fängt völlig unspektakulär an: ein Mann schaut sich bei den Bouquinisten um und fällt plötzlich um. Tot. Der gute Mann schien auf die Achtzig zuzugehen, ein schönes Alter für die damalige Zeit, würde man sagen (sieht man heute immer noch so). Die Menschen sterben und dieser hier ist auf natürliche Art verschieden, was einen amerikanischen Studenten nicht davon abhielt, noch einen Foto zu machen. So ist es halt: Sensationsgier war schon immer vorhanden.

Die Concierge konnte mit dem Mann, der sich Bouvet nannte, sehr gut. Er war ein sympathischer und pflegeleichter Mieter, der seine Zeit mit Spaziergängen verbrachte und das aß, was sie ihm kochte. Sie machte ihm die Wäsche und pflegte seine Wohnung. Monsieur Bouvet lebte schon seit Jahrzehnten so und in dem Haus, in dem es keine Störenfriede gab (sieht man einmal von dem Trunkenbold ab, den die Concierge als Mann hatte) und eine friedliche Atmosphäre herrschte. Einfach schön, könnte man zusammenfassen. Die Concierge machte sich auch sofort daran, die Beerdigung ihres liebsten Mieters vorzubereiten. Er hatte keine Angehörigen, so fand sie es nur recht, wenn sie die Angelegenheit in die Hände nahm.

Aber wie es nun mal so ist, würde Simenon nie eine Geschichte schreiben, die aus nichts besteht (obwohl ich neulich bei »Der Wucherer« doch manchmal den Eindruck hatte, weshalb ich vorher gemachte Aussage hiermit wieder zurückziehe) – auf alle Fälle kann eine Geschichte nicht schon nach achtzehn Seiten zu Ende gehen. Das nun wirklich nicht. So taucht eine Frau bei der Polizei auf, sagt, sie sei Mrs. Marsh und mit dem Mann verheiratet gewesen, der sich da Monsieur Bouvet nannte. Sie könnte auch nähere Angaben machen, die für eine Identifizierung hilfreich wären. Zum Beispiel, dass er unter dem Knie eine kleine Narbe hatte.

Aha, denkt sich die Polizei, die Frau kennt sich aus und sie hat das Zeug zum »ordentlich Ärger machen«. Da ist es das Beste, wenn man die Wohnung erst mal versiegelt. Zumal da noch eine Tochter ist, die laut Mrs. Marsh mit einem unmöglichen Mann verheiratet ist, einem Taugenichts, der es sicher auch auf das Geld des verstorbenen Monsieur Bouvet abgesehen hat. Zumal die beiden es bräuchten. Sie übrigens auch, wie sie ohne Umschweife zugibt. Schließlich hätte sie ihr Mann, nachdem er sie in Panama geheiratet hatte, schon vor langer Zeit verlassen, ohne dafür zu sorgen, dass sie ein Auskommen gehabt hätte. Jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie konnte die Frau davon wissen, dass ihr Mann gestorben war, wo sie ihn doch jahrelang gesucht hatte. Da kommt der amerikanische Student ins Spiel, der mit seinem Foto zur nächsten Zeitung gerannt war, um das Foto zu verkaufen. In Ermangelung einer besseren Story konnte man gut ein paar Zeilen und ein Bild über den Toten bei den Bouqinisten verlieren.

Aber nicht nur diese Frau meldete Interesse an dem Toten an. Auch ein Holländer meldete sich und bat darum, die Beerdigung von Monsieur Bouvet zu verschieben, bevor er den Mann identifiziert hatte. Er gab sich als Bevollmächtigter einer Goldmine aus, die dem Mann – unter dem Namen Marsh – zu gehören schien.

Es wird schnell klar, der Mann war für mancherlei Überraschungen gut. Wenn er schon reich war, warum lebte er so bescheiden und warum unter fremden Namen. Überhaupt: was war sein richtiger Name? Die Ermittlungen führte ein älterer Inspektor namens Beaupère, ein Polizist von der alten Sorte. Er erinnert ein wenig an Lognon, wenn er von Haustür zu Haustür rennt, mit einer Unzahl von Menschen redet, um eine Kleinigkeit herauszubekommen. Einer der Männer, deren Name nie in der Zeitung erwähnt wurde. Er wird unterstüzt von Inspektor Lucas, vielleicht ja der Lucas, wie wir ihn aus den Maigret-Erzählungen kennen. Er kommuniziert direkt mit dem Polizeipräsidenten, der bald in den Fall eingebunden wird, da solche Fälle immer viel Ärger versprachen.

Der Charme dieser Erzählung liegt in seinem Fluss: alles läuft ineinander über, fast wie in einem Film. So kann man einmal diese Spur verfolgen und mal jene. In diesem Buch taucht mit Madame Jeanne, der Concierge von Monsieur Bouvet, übrigens eine der charmantesten Vertreterin ihres Berufsstandes auf, die man in den Büchern von Simenon kennenlernt. Man ist fast gerührt, wie sie um ihren Bouvet kämpft, es als ihre Pflicht ansieht, den Mann, den sie betreut hat, unter die Erde zu bringen, ohne das man sagen kann, sie hätte finanzielle Interessen.