Über die Story

Glauben Sie, dass es interessant sein kann, zuzuhören, wie ein alternder Bankier darüber lamentiert, dass sein Leben eigentlich gar nicht so langweilig ist, wie es ich in seiner Erzählung für den Leser anhört? Kann diese höhere Art von Selbstbetrug für irgendeine Art von Leser interessant sein? Schon, wenn so etwas Georges Simenon notiert.

In der Geschichte geht es um den Bankier François Perret-Latour, der zurückgezogen in einer Wohnung über seiner Bank am Place Vendôme wohnt. Der Bankier war dreimal verheiratet und hat sich ein jedesmal wieder scheiden lassen. Seine erste Frau ist geflüchtet: Er hatte sie in Amerika kennengelernt, als er dort an der Börse arbeitete. Als er zurück nach Frankreich ging, verschwand seine Frau Pat mit dem gemeinsamen Sohn in den Urlaub nach New York und kehrte von dort nicht mehr zurück. Das Nächste, was er von ihr hörte, war die offiziell vollzogene Scheidung.

Seine zweite Frau war, wie Pat, ein wenig jünger als er. Sie hatte studiert und war im Journalismus tätig. Als er eines Tages herausbekam, dass sie hinter seinem Rücken die Widerstandsbewegung gegen die Nazis unterstützte und Männer in seinem Haus untergebracht hatte (die Betonung liegt auf »sein«), kam es zur Trennung. Sie merkten, dass es seit langer Zeit nicht mehr Liebe war, sondern nur noch Freundschaft. Und diese Freundschaft hielt.

Irgendwann überkam es den Bankier noch einmal und er heiratete ein drittes Mal. Diese Ehe war aber wirklich nicht das, was sie sein sollte. Er hatte seine Frau, eine italienische Gräfin, erobert; einem Widersacher ausgesponnen. Das konnte nicht gut gehen, ohne Liebe, sie der internationalen High Society angehörend, während er schon gerne arbeitete…

So blieb nur die Freundschaft zu seiner zweiten Frau Jeanne und seinem Arzt. Perret-Latour hatte mit siebzig Jahren beschlossen, Egoist zu werden. Ein Vorsatz, von dem man annimmt, dass er sich schwer in die Tat umzusetzen lässt. Für Perret-Latour war es nicht schwer, weil weder Kinder noch Enkel sich bei ihm blicken ließen, und er keinen großen Freundeskreis hatte.

Das ändert sich aber schlagartig aufgrund von zwei Faktoren: Zum einen bekommt er einen Brief von seiner ersten Frau Pat aus New York, die ihm ziemlich nüchtern mitteilt, dass sie im Krankenhaus liegt und vermutlich Krebs habe, und sich in der vorangegangenen Woche sich ihr gemeinsamer Sohn Daniel erhängt habe.

Das sind Informationen, die man nicht so einfach hinnimmt. Selbst wenn sich der in der Ich-Perspektive erzählende Bankiers so gibt, als würde ihn das alles gar nicht anfechten, merkt man, dass er sich Gedanken macht. Nicht umsonst nimmt er das Risiko auf sich einen Bekannten in New York zu frühmorgendlicher Stunde anzurufen, und ihn zu bitten, sich um die Angelegenheiten seiner Familie zu kümmern: Zum einen um seine verarmte Frau Pat und zum anderen, um die um den Familienvater beraubte Familie.

Dann erscheint sein Sohn und teilt ihm mit, dass er seine Galerie erweitern will und vor hat zu heiraten, eine zwanzig Jahre jüngere Deutsche namens Hilda. Der Bankier nimmt es mit Freude auf, gerade dann, als sich völlig unvorbereitet diese Hilda bei ihm vorstellt und sie sich gegenseitig ins Herz schließen.

Klingt das spannend? Es kommt noch besser, denn plötzlich steht der Mann, der sich bisher darüber Sorgen gemacht hat, ob man ihm seine 74 Jahre ansieht, im Mittelpunkt der Familie, um die er sich bisher und die sich bisher um ihn einen Dreck gescherrt hat. Keine Frage, das belebt.